Ascheträume

Iris. Fiori di Cenere

Roman

IVI
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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783492702447
Sprache: Deutsch
Seiten: 385 S.
Format (H/B/T): 4 x 21.6 x 13.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Autorenportrait

Maurizio Temporin, geboren 1988 in Broni bei Pavia, begeisterte sich schon als Kind für Kunst, Literatur und Film. Als Gymnasiast verfasste er seinen ersten Roman und schreibt heute außerdem für Film und Theater, illustriert Comics und organisiert Ausstellungen. Seine 'Ascheträume'-Saga, mit deren erstem Band er den Durchbruch als Jugendbuchautor schaffte, bescherte ihm auch außerhalb Italiens ungewöhnlich großen Erfolg. Maurizio Temporin lebt in der Nähe von Alessandria im Piemont.

Leseprobe

Für Giuliano Giunchi, den ich manchmal im Rauch sehe. Für den Bruder, den ich noch kennenlernen muss. Für alle, die auf die Welt kommen, und alle, die sie verlassen - in der Annahme, dass es kein so großer Unterschied ist.   'Denk immer daran. Denk immer daran, dass der Mond ein Loch im Himmel ist, durch das wir das Licht sehen können, das Licht des nächsten Tages.' Kolor       Schwarzer Schnee   Er lief barfuß, und das Feuer rückte neben ihm vor. Meine Mutter sah ihn als Erste. Das war vor siebzehn Jahren. In jenem Moment lag sie auf dem Rücksitz des Wagens, die Hände auf den Bauch gepresst und den Mund zu einem Schrei verzogen. Der Grund für ihren Schmerz war ich. Ich war im Begriff, auf die Welt zu kommen. Mein Vater drückte auf die Hupe, als könne er dadurch die Autos vor ihm verschwinden lassen. Er raste so schnell durch die Straßen wie noch nie. Mit seiner warmen Stimme versuchte er, meine Mutter zu beruhigen, sagte, dass sie gleich im Krankenhaus seien. Er sprach davon, wie schön der Moment sein würde, wenn er mich zum ersten Mal im Arm hielte. Meine Mutter hatte darauf nur eine Antwort - die einzigen Worte, die sie unter den Schmerzen der Wehen hervorbringen konnte: 'Los, los, los!' Und dann passierte es. Dad bog gerade Richtung Park ab, als eine Explosion den Wagen an den Straßenrand schleuderte. Ein glühender Pilz aus Flammen und Rauch schoss in den Himmel. In Panik rannten die Leute aus der brennenden Fabrik. Kurz darauf war die Luft mit dichtem, stickigem Qualm erfüllt. Mein Vater bremste jäh ab, um nicht in die Menschenmenge zu fahren. Hastig kurbelte er das offene Fenster hoch, dennoch drang ein bisschen von dem schwarzen Gift in den Wagen. Er hustete, und seine Augen brannten. Sie brannten, als hätte man ihm Säure ins Gesicht gespritzt. Deshalb sah er ihn nicht. Meine Mutter hingegen, die sich auf die Ellbogen gestützt hatte, sah ihn sehr wohl. Er erschien nur für die Zeit eines Atemzugs. Er schritt durch die Feuerwand wie durch einen Vorhang. Er blickte sich um, während er sich die langen Haare aus dem Gesicht strich, und schrie. Er schrie in rasender Wut, mit der Gewalt eines wilden Tieres, das seit Jahren nichts mehr gefressen hatte. Der Wagen fuhr weiter, bevor die Flammen ihn einholen konnten. Meine Mutter drehte den Kopf und sah durchs Rückfenster, wie er sich auflöste. Sie erzählte mir später, er sei verweht worden wie Asche, weggefegt von einem heißen Windstoß. Ich habe diese Geschichte nie geglaubt. Ich dachte, es sei nur eine Halluzination gewesen, eine Wahnvorstellung, hervorgerufen von den Geburtswehen. Doch das war nicht das einzig Seltsame, das in dieser irrwitzigen Stunde geschah. Es war Mitte August, und dennoch begann es zu schneien. Ein Schnee, wie es ihn noch nie gegeben hatte. Schwarzer Schnee. Er bedeckte die Stadt mit einem dunklen Mantel, während ich in den Armen meiner Mutter die ersten Atemzüge tat. Sie erinnert sich noch daran, wie die Krankenschwestern und Ärzte am Fenster standen und dieses merkwürdige Ereignis bestaunten. Die Presse behauptete später, dieser Schnee sei eine Folge des Rauchs aus der Chemiefabrik gewesen, die in Flammen aufgegangen war. Eine rationale Erklärung für etwas, das die Grenzen der Wirklichkeit überschritten hatte. Heute weiß ich, was dieses schwarztintige Schneegestöber zu bedeuten hatte. Es war das düsterste Omen. Das Zeichen für die Ankunft eines Wesens aus dem Feuer. Doch das war nur ein kleiner Vorgeschmack auf den Schmerz und das Grauen, das über die Welt, meine Welt, kommen sollte - siebzehn Jahre später, als er aus der Asche zurückkehrte, um mich zu verfolgen.       Thara   Es war in der Dämmerung. An jenem Abend jagten sich hinter den Wohnblöcken große goldene Wolken im warmen Wind. Ich wusste, dass ich nicht hässlich war, aber in den Augen der anderen war ich eine sonderbare Person. Mit einem Jungen essen zu gehen erschien mir wie ein Traum. Ein abwegiger Traum zum Sonnenuntergang,